Was braucht es an fachlichen Rahmenbedingungen bei hochstrittigen Fällen?

Auf der heute freigeschalteten Seite interdisziplinäre Zusammenarbeit wird ausführlich darauf eingegangen, wie innerhalb des bisherigen familienrechtlichen und jugendhilferechtlichen Systems besser zwischen den verschiedenen Fachkräften zusammengearbeitet werden könnte.

Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der momentane rechtliche Rahmen eine erfolgversprechende Lösung hochstrittiger Konflikte eher behindert als fördert. Familiengericht und Jugendamt wirken mehr oder weniger abgeschirmt in ihren „Silos“. Die Beratungsstellen werden zu wenig eingebunden. Psychologisches und psychiatrisches Fachwissen fließen viel zu wenig ein und die Strafverfolgungsbehörden sind überhaupt nicht eingebunden.

Bisher werden alle Fälle mit den mehr oder weniger gleichen „Werkzeugen“ bearbeitet. Dieses „One-Size-fits-it-all“ funktioniert aber insbesondere in hochstrittigen Fällen nicht. Hier braucht es Spezialisten und Spezialeinheiten, welche es in dieser Form bisher in Deutschland aber noch nicht gibt.

Diese braucht es natürlich nicht für jede Trennungsfamilie. Daher sollte der Gesetzgeber differenzieren, für wen welcher Hilfs- und Unterstützungsbedarf sinnvoll und zielführend ist. Hierfür schlage ich eine Aufteilung von Trennungseltern in drei Bedarfsgruppen vor.

Gruppe 1 – Die Einvernehmlichen

Die weitaus meisten Eltern (rund 80%) schaffen es, eigenverantwortlich Regelungen nach einer Trennung zu finden. Vielleicht benötigen diese in Einzelfällen eine Beratung durch einen Mediator oder eine Familienberatungsstelle. Diese Eltern sind „unkritisch“. Ihnen sollten niederschwellige, auch kostenfreie oder kostengünstige Angebote zur Verfügung stehen, die sie bei Bedarf nutzen können. Für diese Eltern ist bereits heute eine praktikable Unterstützungs-Struktur vorhanden

Gruppe 2 – Die Hilfebedürftigen

Dann gibt es die Gruppe der Eltern, welche Probleme damit haben, eigenverantwortliche Regelungen zu finden (ca. 15%). Diese benötigen eine qualitativ hochwertige Beratung und Unterstützung, zeitnahe Terminverfügbarkeit und unter Umständen auch gerichtliche Entscheidungen zur (vorübergehenden) Regelung bestimmter Konfliktgebiete. Aber auch durch Angebote wie „Kind im Blick“ oder „Kinder aus der Klemme“ lässt sich in dieser Gruppe noch gut ein langfristig tragbares Ergebnis erreichen.

Auch für diese Gruppe sind bereits heute gute Unterstützungs- und Interventionsmöglichkeiten vorhanden. Das bestehende Angebot sollte ausgebaut und optimiert werden. Insbesondere sollten entsprechende Qualitätsstandards in der Beratung verfestigt werden.

Wichtig ist allerdings, dass die Hilfsangebote zielgerichtet und bedarfsorientiert an diese Familien herangetragen werden. Das falsche Angebot zur falschen Zeit kann sich fatal auswirken und den Streit verlängern. Hier besteht bisher noch deutlicher Nachholbedarf. Interdisziplinäre Zusammenarbeit kann helfen, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, den Konflikt so zu deeskalieren und das Kind vor weiteren Belastungen zu schützen.

Gruppe 3 – Die Hochstrittigen

Für die Gruppe der hochstrittigen Eltern gibt es aus hiesiger Sicht bis heute in Deutschland keine adäquaten Unterstützungs- und Interventionskonzepte. Der Ausgang solcher Fälle gleicht häufig einer Kapitulation von Fachkräften. Kinder werden massiv belastet und häufig in ihrer Entwicklung erheblich geschädigt. Psychische Auffälligkeiten und Störungen sind oft zu beobachtende Folgen. Nicht selten verbunden mit einem Kontaktabbruch zu dem Elternteil, der sich nichts zuschulden hat kommen lassen. Mit der Begründung „das Kind muss zur Ruhe kommen“, wird das Kind meist dem eskalierenden Elternteil überlassen und damit vorhersehbar weiter geschädigt. Schon mehrfach wurde Deutschland für solche Fälle durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, ohne, dass dies bisher zu nachhaltigen Verbesserungen der Situation geführt hat.

Trotz dieser defizitären Ergebnisse werden bei Fachkräften in solch hochstrittigen Fällen enorme Ressourcen gebunden. Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen und deutlich besser und effizienter eingesetzt werden sollten. Hinzu kommt, dass gerade Ressourcen in diesen Bereichen knapp sind, Personal- und Qualifikationsmangel herrscht und ein effektiver Kinderschutz rein praktisch nicht gewährleitet werden kann. Hier sei nur an die seit Jahrzehnten immer wieder aufkommenden Hilferufe aus überlasteten Jugendämtern oder die bis heute nicht geregelte fachliche Ausbildung von Familienrichtern erinnert.

In der Gruppe der hochstrittigen Eltern ist daher der größte Handlungsbedarf gegeben. Dort besteht auch das größte Potenzial für die Schädigung der Kinder. Es braucht daher ein grundlegendes Umdenken und andere Handlungsweisen in der interdisziplinären Zusammenarbeit. Handlungsweisen, welche uns in Deutschland vielleicht ungewohnt und fremd erscheinen mögen, die in anderen Ländern aber bereits erfolgreich und teils über Jahrzehnte umgesetzt wurden.

Beispiele für „Spezialeinheiten“ aus anderen Bereichen:

Im medizinischen Bereich hat man spezielle Kompetenzzentren geschaffen, welche sich z.B. auf bestimmte Krankheitsbilder, Tumorarten oder Therapieformen konzentrieren. Deren Erfolgsquote liegt weitaus höher als bei unspezifizierten Medizinern und ihre Erfahrung trägt zudem zu einer Weiterentwicklung therapeutischer Interventionen bei.

Früher galten einige Kinder als schwer erziehbar, auffällig oder nicht integrierbar, Kitas oder Schulen waren mit deren Betreuung überfordert. Erst durch die Schaffung von „Spezialeinheiten“ wie Integrations- oder Inklusionskitas und -schulen mit spezielle ausgebildeten Pädagogen gelang es, auch diese Kinder besser zu integrieren.

Während der olympischen Spiele 1972 nahm eine Gruppe palästinensischer Terroristen israelische Sportler als Geiseln. Die Polizei war mit der Situation hoffnungslos überfordert, für solche Bedrohungsszenarien nicht ausgebildet. In der Folge entstand eine Spezialeinheit, die heutige GSG9, welche für Einsatzszenarien, mit der die Bereitschaftspolizei überfordert wäre, ausgebildet ist.

Dies ist nur eine kleine Auswahl, wie Spezialisierung helfen kann, Herausforderungen, die einen allgemeinen Ansatz überfordern, zu bewältigen. Auch hochstrittige Fälle werden sich besser lösen lassen, wenn wir beginnen, diese durch Spezialisten und nicht durch Generalisten zu bearbeiten.

Für Eltern, die als hochstrittig eingestuft werden, sollte es spezielle, interdisziplinäre Einheiten geben, die diese Fälle betreuen. In diesen „Spezialeinheiten“ sollten speziell aus- und fortgebildete Familienrichter, Jugendamtsmitarbeiter und Beratungsstellen / Therapeuten gemeinsam diese Fälle bearbeiten und einen festen organisatorischen Rahmen haben. Es sollte eine direkte Schnittstelle zu den Strafverfolgungsbehörden geben, welche in geeigneten Fällen (Gewalt, Missbrauch etc.) aktiv durch die „Spezialeinheit“ hinzugezogen und eingebunden werden. Straftaten, auch Falschbeschuldigungen, werden konsequent und von Amts wegen zur Anzeige und Verfolgung gebracht.

Sollte ein oder beide Elternteile die Aufklärung des Falles behindern oder unangemessen verzögern, sollten konsequent (temporäre) Eingriffe in die elterliche Sorge vorgenommen werden. Dies bedeutet zwar einen Eingriff in die Grundrechte der Eltern, dient aber auf der anderen Seite der Wahrung der Grundrechte des Kindes. Der Rechte auf Umgang mit beiden Eltern, der körperlichen und geistigen Unversehrtheit und weiterem. Hier muss Kinderschutz klar vor Elternschutz gehen.

Alle Fälle, die in diese Kategorie gehören, werden als Gefährdungsverfahren geführt. Dies erweitert heute bereits die Handlungsmöglichkeiten der Familiengerichte deutlich.

Notwendige Entscheidungen werden nicht innerhalb von Wochen oder Monaten, sondern innerhalb von Tagen oder Stunden getroffen. Es wird verhindert, dass durch Zeitablauf Fakten geschaffen werden.

Am Ende des Einsatzes der „Spezialeinheit“ kann bei positiv veränderter Situation eine Überführung der Eltern in „reguläre“ Hilfs- und Unterstützungsangebote erfolgen. Diese ermöglichen Eltern wieder eine stärkere Wahrnehmung von Eigenverantwortung. Gab es keine positive Veränderung auf Ebene der Eltern (eines oder beider Elternteile), kann z.B. ein Obhutswechsel zum kooperativen Elternteil, eine Fremdunterbringung oder aber die Einschränkung des Kontaktes zu einem oder beiden Elternteilen erforderlich sein.

Die Maßnahmen müssen geeignet sein, das Kind so weit als möglich vor weiterem Schaden zu schützen. Es darf keine Kapitulationserklärung vor eskalierenden und das Wohl der Kinder gefährdenden Elternverhalten geben.

Alle Einsätze der „Spezialeinheiten“ sollten in Bezug auf ihre Wirkung untersucht und einem kontinuierlichen Weiterentwicklungsprozess, auch über die eigenen Teams hinaus und deutschlandweit, unterzogen werden. Es muss einen Austausch über „best practice“, über erfolgreiche Interventionen geben, ebenso, wie einen Austausch über Ansätze, die nicht funktioniert haben. Hierfür bedarf es einer positiven Fehlerkultur, welche nicht das Anklagen des unbefriedigenden Ergebnisses, sondern den daraus gewonnenen Erkenntniswert für zukünftige Fälle in den Mittelpunkt stellt.

Der Aufwand, der der Schaffung dieser Spezialeinheiten gegenüber steht, dürfte verglichen mit den positiven Effekten vernachlässigbar sein. Ich würde sogar so weit gehen, dass sich innerhalb kurzer Zeit sogar bereits erhebliche Einspareffekte beobachten lassen.

  • Es wird weniger Verfahren geben
  • Eltern haben eine höhere eigene Motivation zur Einigung
  • Hochstrittige Verfahren werden insgesamt kürzer und effizienter geführt
  • Die Belastung von Kindern und Eltern nimmt ab
  • Die reguläre Arbeit und Jugendamt und Familiengericht wird von diesen außergewöhnlichen Fällen entlastet, für die die bisherigen Mitarbeiter nicht hinreichend qualifiziert sind

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass am Streit der Eltern häufig noch zu gut verdient wird. Dies würde sich durch den Einsatz von „Spezialeinheiten“ reduzieren. Für die Politik kann dies kein Hinderungsgrund sein. Handlungsleitend darf nur das Wohlergehen der Kinder, nicht aber das Profitstreben von einzelnen Berufs- und Interessengruppen sein.

Ziel muss es sein, endlich ein effektives Kinderschutzsystem zu schaffen, welches die interdisziplinäre Zusammenarbeit fördert und institutionalisiert, Kinder entlastet und Schaden von Ihnen abwendet.

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