Der Kontaktwunsch belastet das Kind

Vor kurzen habe ich wieder in einer Stellungnahme die Feststellung gelesen, „der Kontaktwunsch belastet das Kind“. Schon häufig tauchten diese oder ähnliche Formulierungen auf und sie sind falsch, wie ich an vier Beispielen aufzeigen werde.

Die Belastung des Kindes

Zunächst einmal wurde scheinbar festgestellt, dass das Kind belastet ist. Hierzu bedarf es objektivierbarer Umstände, welche sich nicht nur auf die Angaben eines Elternteils stützen lassen. Welche Belastungsreaktionen zeigen sich beim Kind, können diese auch durch Dritte Personen verifiziert werden? Wenn es Bescheinigungen von Schule, Kita oder Ärzten gibt, beruhen diese auf eigenen Feststellungen oder aufgrund von Aussagen des Elternteils, der solche Bescheinigungen einfordert?

Bei Zweifeln sollte nachgefragt werden, um die erste Prüfungsstufe zu nehmen. Ist das Kind tatsächlich belastet, ja oder nein.

Nicht immer ist es der Kontaktwunsch, der das Kind belastet.

Der Kontaktwunsch

Im zweiten Schritt muss man dann klar sagen, dass es nicht der Kontaktwunsch ist, der ein Kind belastet. Belastend für ein Kind, sind Verhaltensweisen (aktuell oder vergangen), die das Kind mit einem Kontaktwunsch in Verbindung bringt. Die korrekte Frage muss daher lauten: Welches Verhalten führt(e) zur Belastung des Kindes? Dazu einige Beispiele aus der Praxis.

Beispiel 1

Eine 11-jährige verweigert 5 Monate nach der Trennung den Kontakt zu ihrem Vater und lehnt diesen ab. Es stellte sich heraus, dass der Vater mit der Mutter der besten Freundin des Kindes eine neue Beziehung eingegangen ist. Diese hatten sich im Reitstall kennenlernten, in dem die beiden Mädchen gemeinsam ihrem Hobby nachgingen.

Die Tochter fühlte sich verantwortlich, am Scheitern der Beziehung der Eltern schuld zu sein. Ihr Vater hätte seine neue Partnerin nie kennengelernt, wenn sie nicht geritten wäre. Folglich hatte sie auch das Reiten und die Beziehung zu ihrer Freundin abgebrochen.

Während Jugendamt und Familiengericht für einen Umgangsausschluss plädierten, da das Kind aufgrund der angeblich hochstrittigen Trennung der Eltern belastet sei und zur Ruhe kommen müsse, hatte die Verfahrensbeiständin im Gespräch mit dem Mädchen Andeutungen gehört, was der wahre Grund sein könnte. Es wurde eine therapeutische Unterstützung für das Mädchen eingerichtet, in die dann nach und nach auch die Eltern einbezogen wurden. Dem Mädchen wurden die Schuldgefühle genommen, die in Teilen auch von der Mutter stammten. Auch diese konnte in der Bewältigung ihrer Emotionen und Verletzungen unterstützt werden. Dem Vater wurde deutlich, dass sein neues Beziehungsglück auch zu Verletzungen geführt hat und sich auf das Verhältnis zu seiner Tochter auswirkte.

Nach drei Monaten gab es wieder Kontakte zwischen Vater und Tochter. Nach knapp fünf Monaten gab es wieder eine normale und entspannte Umgangsregelung. Bei Reitveranstaltungen konnten beide Mädchen zukünftig von ihrem gesamten Familienverbund angefeuert werden.

Ohne die aufmerksame Verfahrensbeiständin wäre dieser Fall vermutlich in einem langanhaltenden Kontaktabbruch geendet. Mutter und Tochter hätten sich in ihren Schmerz miteinander gegen den Vater solidarisiert.

Nicht der Kontaktwunsch belastet das Kind, sondern die ungelösten Schuldgefühle des Mädchens waren die Belastung.

Beispiel 2:

Der 9-jährige Sohn verweigerte seit rund 6 Monaten den Kontakt zu seinem Vater. Er wäre böse und hätte ihn gehauen. Der Vater bestand auf seinem Umgangsrecht. Es stellte sich heraus, dass der Vater tatsächlich früher handgreiflich gegenüber seinem Sohn war. Die Ereignisse fielen in die Zeit vor der Kontaktverweigerung und standen im zeitlichen Zusammenhang mit der Trennung und dem Verlust des Arbeitsplatzes.

Der Sohn hatte den Vater wohl auch mehrfach darauf angesprochen, dass er Papa zwar liebhabe, aber wissen wollte, warum er ihn geschlagen hätte. Der Vater verweigerte seinem Sohn aber eine Erklärung, wollte über das Thema nicht sprechen. Die Ängste des Sohnes und die Enttäuschung bauten sich weiter auf, der Konflikt mit seinem Vater (nicht mehr handgreiflich, sondern aufgrund der Verweigerung zur Klärung der Umstände) wuchs an bis zur Kontaktverweigerung.

Der Vater, welcher wieder in stabilen Verhältnissen lebte, schämte sich für seine Handgreiflichkeit gegenüber seinem Sohn und hatte auch Angst vor Konsequenzen. Er wusste, dass Handeln falsch war, hatte dies eingesehen. Es gab klärende Gespräche mit dem Sohn, bei welchen die Mutter anwesend war und vermittelte und beide konnten wieder aufeinander zugehen.

Das Jugendamt forderte, dass der Vater erst ein Anti-Aggressionstraining absolvieren sollte, bis dahin könnten sie nur maximal begleitete Umgänge befürworten. Dies sei das übliche Vorgehen bei gewalttätigen Vätern.

Nachdem die Mutter im Gerichtssaal das Wort für den Vater ergriff, dass dieser nicht gewalttätig sei, sondern sich in einer Ausnahmesituation befand, wurde eine gerichtliche Umgangsregelung erlassen. Gelebt wurde diese nur für wenige Wochen. Die Eltern handhabten die Umgänge zukünftig eigenverantwortlich so, wie es für alle Beteiligten passte.

Nicht der Kontaktwunsch belastet das Kind. Es war der ungelöste Konflikt mit seinem Vater, dessen Ursache dieser lieber vergessen wollte und sich schämte. Darüber zu reden, die bereits erlangte Einsicht auch gegenüber dem Sohn zu artikulieren, führten letztlich zur Lösung des Konfliktes.

Beispiel 3

Der Umgang mit der 9-jährigen Tochter lief seit der Trennung vor drei Jahren häufig spannungsgeladen. Die Mutter lehnte den Vater und auch die Umgänge der Tochter ab, lies diese nur widerwillig zu. Immer wieder erhob sie Vorwürfe gegen den Vater, die sich entweder nicht beweisen ließen oder aber sich als falsch herausstellten. Das Kind wurde in der Schule schlechter, wirkte unkonzentriert, zog sich aus sozialen Kontakten zunehmend zurück. Eine Belastung war objektiv feststellbar, als der Kontakt drohte abzubrechen und es immer häufiger Umgangsausfälle gab.

Der Vater schaltete das Familiengericht ein. Die Verfahrensbeiständin meinte, das Kind brauche eine Pause aufgrund des ungelösten Konfliktes der Eltern und empfahl einen 6-monatigen Umgangsausschluss. Das Drängen des Vaters auf Kontakt belaste das das Mädchen in der Situation zu sehr.

Die gerichtlich bestellte Sachverständige stellte fest, dass die Belastungen des Kindes durch die Ablehnung des Vaters durch die Mutter des Kindes und deren noch nicht überwundener Paarbeziehung stammten. Sie empfahl einen Wechsel des Mädchens in den Haushalt des Vaters, solange dies noch möglich und die Ablehnung nicht verfestigt sei. Grundsätzlich bestehe eine gute Beziehung zwischen Vater und Tochter.

Das Gericht folgte der Empfehlung der Sachverständigen. Die Vater-Tochter-Beziehung stabilisierte sich nahezu sofort. Das Kind blieb jedoch belastet. Grund war, dass die Tochter nun „ins feindliche Lager“ gewechselt ist. Die Mutter lehnte daher den Kontakt zu ihrer Tochter ab. Erst nach über einem Jahr gab es wieder vorsichtige Kontakte zwischen Mutter und Tochter. Diese blieben aber weiterhin schwierig, da die Mutter den Vater weiterhin ablehnte. Erst nach drei weiteren Jahren und einer therapeutischen Aufarbeitung der Emotionen der Mutter normalisierte sich das Verhältnis wieder. Ab diesem Zeitpunkt reduzierten sich auch die Belastungen der mittlerweile jugendlichen Tochter. Eine Verunsicherung aufgrund der von ihrer Mutter erfahrenen Ablehnung begleitete sie aber noch viele Jahre.

Nicht der Kontaktwunsch belastet das Kind, sondern die ablehnende Haltung der Mutter gegenüber dem Vater belasteten das Kind. Eine Umgangspause hätte der Tochter die Möglichkeit genommen, noch positive Erfahrungen mit ihrem Vater zu machen. Sie wäre der ablehnenden Haltung ihrer Mutter schutzlos ausgeliefert gewesen. Nach der Umgangspause hätte man vermutlich nur noch feststellen können, dass sich die Ablehnung gegenüber dem Vater auf wundersame Weise, auch ohne weitere eigene, negative Erfahrungen, weiter manifestiert habe. Der langfristige Kontaktabbruch und Eltern-Kind-Entfremdung wäre dann die vorhersehbare – fatale – Lösung gewesen.

Beispiel 4

Der 13-jährige Junge lehnt den Kontakt zu seiner Mutter vehement ab. Zu seinem leiblichen Vater hat er schon seit 9 Jahren keinen Kontakt mehr. Er lebte bis dahin mit seiner Mutter und seinem Stiefvater zusammen. Diese hatten den Jungen über Jahre physisch und sexuell missbraucht und wurden auch entsprechend strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.

Der Junge wurde durch diese Taten schwer traumatisiert und lebte mittlerweile in einer Pflegefamilie. Die ihn behandelnden Therapeuten warnten vor einer Retraumatisierung bei Kontakten zu seiner Mutter. Diese hate bisher noch keine Einsicht in die Schädigung des Sohnes durch ihre Taten gezeigt. Kontakte könnten sie erst befürworten, wenn die Mutter Einsicht erlangt habe und mit ihr therapeutisch gearbeitet wurde. Eine ernst gemeinte Entschuldigung der Mutter gegenüber dem Sohn könnte eine Brücke sein, wieder Kontakt herzustellen, wenn der Junge entsprechend stabilisiert sei. Das Gericht folgte dieser Empfehlung.

Nicht der Kontaktwunsch belastet das Kind, sondern die vorherigen Verhaltensweisen der Mutter. Ebenso deren noch fehlende Einsichtsfähigkeit waren hier der Grund für die Belastung des Jungen. Diese standen einer Wiederanbahnung von Kontakten entgegen.

Fazit:

Es ist nicht der Kontaktwunsch, der ein Kind belastet. Es sind die dahinterliegenden Emotionen, Verhaltensweisen und Handlungen. Diese müssen hinterfragt, erkannt und aufgeklärt werden. Erst, wenn geklärt ist,

  1. ob überhaupt eine Belastung vorliegt und
  2. woher diese Belastung stammt sowie
  3. wer dafür Verantwortung trägt

kann eine sinnvolle Entscheidung im Interesse des Kindes getroffen werden. Wie die Beispiele zeigen, kann ein Abweisen eines Kontaktwunsches, „weil wir dies immer so machen“ oder „weil das Kind nicht will“, zu fatalen Fehlentscheidungen führen. Es braucht daher Aufklärung in entsprechenden Fällen. Vor allem auch Aufklärung bei den beteiligten Fachkräften über die Vielfalt der Möglichkeiten, unter denen Belastungen entstehen. Diese sind nicht ursächlich mit dem Kontaktwunsch zu begründen.

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