Für die Welt wurde ich im Zuge der Diskussionen rund um den Fall Block zu meinen Erfahrungen und meiner Sicht auf das Familienrecht interviewt. Meine Kernaussage zur aktuellen Situation wurde zum Titel des Beitrages. „Im Familienrecht herrscht vor allem das Recht des Rücksichtsloseren“. Im Interview kamen auch eine Anwältin und ein Familienrichter zu Wort. Aus den Antworten wurde deutlich erkennbar, wie Fachkräfte in hochstrittigen Fällen, trotz gutem Willen, ungewollt zum Teil des Problems, nicht aber der Lösung, werden können. Wie aber kann diese fatale Spirale, unter der Kinder zerrieben werden, aufgelöst werden?
Die Anwältin bestätigte in weiten Teilen meine Ausführungen, dass rechtzeitig interveniert werden muss. Dies ist auch wenig verwunderlich. Auch sie scheitert mit ihren Mandanten am zögerlichen und defensiven Verhalten oder der Kapitulation des Systems. Eines Systems, welches Kinder eigentlich schützen sollte. Eines Systems, dass die Kinder nur allzu häufig dem Missbrauch von Eltern, die die Bedürfnisse der Kinder aus dem Blick verloren haben, preisgibt.
Wie es besser gehen kann, zeige ich auch in meinen Webinaren und Praxisworkshops sowie auf den weiteren Beiträgen auf hochstrittig.org auf.
„Jugendamt und Familiengericht kapitulieren viel zu oft vor einem eskalierenden Elternteil“
Der Familienrichter Andreas Frank, welcher gleichzeitig Vorsitzender des Deutschen Familiengerichtstages ist, setzte darauf, einvernehmliche Lösungen herbeizuführen. Sanktionen gegen die Eltern könnten die Beziehung zum Kind auch endgültig zerstören. Sanktionen wären also keine Lösung. Einvernehmliche Lösungen und Konsens seien doch die weitaus bessere Option.
Mit solchen Ansichten ist er bei weitem kein Einzelfall. Man darf ihm auch abnehmen, dass er im guten Glauben handelt. Letztlich aber ist er, wie viele andere mit dieser Haltung, in hochstrittigen Fällen nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Obstruktion als Erfolgsmodell
Erstmals im Zusammenhang mit familienrechtlichen Erfahrungen lernte ich den Begriff „Obstruktion“ kennen. Den anderen zermürben und dabei niemals nachlassen. Jede schon 100x widerlegte Behauptung erneut ins Feld führen. Verzögern und erschweren, soweit es nur geht. Auf keinen Fall auf Argumente oder Lösungen eingehen. Außer, wenn die Lösung dem eigenen Willen entspricht. Also genau das Gegenteil von dem, was man von verantwortungsvollen Eltern erwartet.
Obstruktion ist auch gegenüber Jugendämtern und Familiengerichten ein viel zu oft erfolgreiches Mittel. Wer nur lange und rücksichtslos genug agitiert, mit dem möchte man nichts mehr zu tun haben. Dies schon allein aus Selbstschutz. Denn solche obstruierenden Menschen und Verfahren belasten einen oft auch über die eigenen Grenzen hinaus. Nach 100 umfangreichen Schriftsätzen und Beschwerden in einem Jahr wird irgendwann doch hoffentlich auch der hartnäckigste Richter oder Jugendamtsmitarbeiter aufgeben.
Vor solchen Menschen und obstruktivem Verhalten wird kapituliert. Einfach nur, damit man mit ihnen nichts mehr zu tun haben muss. Selbst wenn es bedeutet, dass ihnen das Kind überlassen und der andere Elternteil im Leben des Kindes dämonisiert oder ausgelöscht wird.
Kapitulation ist keine Lösung
Der Wunsch nach Selbstschutz ist verständlich. Den Kindern wird dieser Schutz, den sie dringend bräuchten und auf den sie einen grundgesetzlich verankerten Anspruch haben (Art. 2 (2) Satz 2 GG), durch diese Kapitulation versagt.
Kapitulation kann daher keine Lösung sein. Hier sind die Erwachsenen, insbesondere die mit staatlichem Schutzauftrag, in der Pflicht, Kinder zu schützen.
Der Obstruktions-Anwalt
Vor einigen Tagen sprach ich mit einer Mutter. Sie war auf der Suche nach einem Anwalt. Sie erzählte mir, dass bereits mehrere Anwälte abgelehnt haben, nachdem sie erfahren hatten, welcher Anwalt auf der Gegenseite tätig war. Dieser Anwalt würde alles eskalieren, es wären keine Einigungen möglich, es gäbe dort nur Krieg (Obstruktion). Den erforderlichen Aufwand könnten und wollten die Anwälte nicht stemmen, nicht einmal gegen gute Bezahlung. Die Mutter stand so ziemlich wehrlos dem aufziehenden Sturm gegenüber.
Dieser Anwalt ist auch mir bekannt. Er hat Eskalation zum Geschäftsmodell erhoben. Er ist damit kein Einzelfall. Weder Gerichte noch Anwaltskammer greifen hier ein. Er ist mit seinem Eskalationskurs sehr erfolgreich. Warum sollte er sein Verhalten also ändern?
Darf ein solches Verhalten erfolgreich sein, wenn es um Kinder geht? Dazu gerne mal unseren Artikel „Familienrichter als Dompteure im Konflikt“ lesen. Es sollte auch für Richter ein Statement sein, wenn ein Elternteil mit einem bekannt eskalativem Anwalt ins Kindschafts-Verfahren zieht. Ein Verfahren, in dem es um Deeskalation und Wegen zur zukünftig verantwortungsvollen Ausübung der Elternschaft gehen sollte.
(Bevor jemand fragt, nein, ich werde hier keine Namen nennen. Ein solches Verhalten werde ich unter keinen Umständen unterstützen)
Im Familienrecht sind nicht viele solcher Anwälte unterwegs. Aber man weiß untereinander, welche Kollegen so agieren. Ich habe viele Anwälte kennengerlernt, welche eskalative Forderungen von Mandanten abgelehnt haben. Dies ist mir wichtig, zu betonen. Wenige schwarze Schafe sollten nicht pauschal einen Berufsstand in Misskredit bringen.
Der Wunsch nach Einigung
Pädagogische und therapeutische Fachkräfte streben nach Einigung, nach Konsens, nach positiven Formulierungen und Miteinander. Alles Bestrebungen, die in vielen Situationen richtig und zielführend sind. Dies strebe ich als Mediator ebenso an. Auch der Gesetzgeber hat im §156 FamFG das Hinwirken auf Einvernehmen für das Familienrecht aufgegriffen.
In diesem grundsätzlich guten Geiste, der in „normalen“ Fällen zum Erfolg führen kann, wird dann häufig auch in hochstrittigen Fällen gearbeitet. Monate oder Jahrelang wird alles versucht, um zu Einvernehmen zu kommen. Auf diesem beschwerlichen Wege werden Kinder therapiebedürftig. Eltern, die eine Einigung wollen und am anderen Elternteil scheitern werden zermürbt, verzweifelt und arm. Fachkräfte stehen dem hilf- und ratlos gegenüber und zweifeln an ihren Fähigkeiten.
„Wir versuchen, die Eltern zu einer Beratung zu bewegen und ihnen klarzumachen: Man kann nicht gegeneinander Eltern sein.“ Es könne allerdings Jahre dauern, bis es zu einer Haltungsänderung komme.“
Andreas Frank, Familienrichter im Welt-Interview
Im Zuge der Evaluierung der FamFG-Reform im Auftrage des Bundesjustizministeriums wurde unter anderem die Frage gestellt, inwiefern auf Einvernehmen ausgerichtete Instrumente für hochstrittige Verfahren geeignet sind. Über alle Berufsgruppen (Familienrichter 1. Und 2. Instanz, Verfahrensbeistände, Rechtsanwälte, Jugendämter) verneinten dies rund ¾ der befragten. Die Autoren der Evaluation zogen daher 2018 das Fazit (S. 305):
„Für hochstrittige Verfahren sind den Erfahrungen der meisten Praktiker zufolge die Möglichkeiten des § 156 FamFG nicht (unbedingt) geeignet (rund 67 Prozent der Befragten halten die auf Einvernehmen ausgerichteten Instrumente im Kindschaftsverfahren in diesen Fällen für (eher) ungeeignet). In diesem Zusammenhang sei auch die in der Befragung von einigen geäußerte Befürchtung erwähnt, dass die einvernehmliche Streitbeilegung im Einzelfall ein zu großes Gewicht erfahre. Wo die Bemühung um Einvernehmen aussichtslos ist, dürfen die Beteiligten von der Justiz eine klare Entscheidung erwarten“.
Die Evaluierung der FGG-Reform, Stefan Ekert / Bettina Heiderhoff im Auftrag des Bundesjustizministeriums
Ein jahrelanges Hinwirken auf Einvernehmen, wie es im Interview auch Richter Frank beschreibt, dürfte auch gegen die Rechtswegegarantie des Art. 19 (4) Satz 1 GG verstoßen. Denn solange das Gericht nicht entscheidet, kann ich gegen diese Entscheidung auch keine Rechtsmittel einlegen. Dies gilt selbst dann, wenn Zeit bereits Fakten geschaffen hat.
Die Frage, die scheinbar niemand stellt
Was macht man, wenn mit einem Elternteil keine Einigung, kein Kompromiss und schon gar kein Konsens möglich ist? Wenn diesem Elternteil entweder die Bereitschaft, oder schlimmer noch, die Fähigkeit zur Einigung fehlt?
Auf diese Frage haben viele Fachkräfte scheinbar keine Antwort. Und so stellen sie diese Frage erst gar nicht und arbeiten weiter in dem Bestreben nach Einigung. Der Gesetzgeber hat dies lediglich als „Soll“-Vorschrift ins Familienrecht geschrieben.
Der im Welt-Interview zitierte Familienrichter steht nach meiner Erfahrung in hochstrittigen Fällen hier stellvertretend für viele Fachkräfte in unterschiedlichen Professionen, wobei in der FamFG-Evaluation sich insbesondere die mit dem staatlichen Wächteramt ausgestatten Jugendämter und Familiengerichte verstärkt für das Hinwirken auf Einvernehmen ausgesprochen haben. Dabei sind gerade sie es, die die Macht zur Intervention und die gesetzliche Pflicht zum Schutz der Kinder innehaben, wenn die Eltern (ein oder beide) in diesem Punkt versagen.
Don Quijote des Familienrechts
Es wird weiter der auch bisher schon so oft erfolglose Weg gegangen. Don Quijote war mit seinen Windmühlen also nicht allein. Es werden immer wieder dieselben, verfehlten Lösungsansätze probiert. Fragt man, wie oft diese denn in hochstrittigen Fällen funktioniert hätten, erhält man oft nur hilflose Blicke. Man probiert es halt noch einmal. Irgendwann muss es doch funktionieren. Und auch beim nächsten Mal wird wieder die Windmühle frontal attackiert.
Die Fachkräfte reiben sich an solchen Fällen auf, kapitulieren viel zu häufig. Wenn es dann so weit ist, hat das Kind meist schon eine erhebliche Schädigung erlitten. Meist für sein ganzes Leben. Vor den Augen zahlreicher Fachkräfte.
Diplomatie am Ende?
Diplomatie hat dazu beigetragen, unzählige Konflikte zu verhindern oder zu befrieden. Konflikte werden nicht mehr mit Waffen, sondern mit Worten ausgetragen. Man kann mit Recht sagen, dass die Diplomatie unzählige Leben gerettet hat.
Aber auch die Diplomatie hat ihre Grenzen. Dies erleben wir nicht nur im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Es besteht auf einer Seite kein Interesse an einer diplomatischen Einigung. Diese verspricht keine Vorteile.
BATNA – best alternative to negotiated agreement. Ein Grundsatz der Mediation, dass eine Einigung durch Mediation (und auch Diplomatie) erst möglich ist, wenn diese die beste Alternative zur bestehenden Situation darstellt.
Das Ziel scheint durch Angriff und Eskalation zuverlässiger erreicht zu werden. Die bisher gesetzten Interventionen haben nur bedingten Erfolg gezeigt. Mittlerweile hat man erkannt, dass die diplomatischen Bemühungen auf die Annexion der Krim 2014 nicht ausreichend waren, um von einer erneuten Eskalation abzusehen. Die Diplomatie ist in diesem Fall gescheitert. Es wird also weitere Interventionen brauchen, bis die Diplomatie wieder zum Zuge kommen kann.
Die Situation kann 1:1 auf hochstrittige Trennungskonflikte übertragen werden. Auch dort führt ein Elternteil Krieg mit dem unbedingten Willen, sein Ziel zu erreichen. Das Wohlergehen des Kindes ist nicht handlungsleitend. Wenn gute Argumente nicht mehr funktionieren (Diplomatie), dann kommt der Punkt, an dem man in die entschiedene Verteidigung (des Kindeswohles) gehen und wirksame Sanktionen setzen muss. Notfalls ist diesem Elternteil das Druckmittel Kind zu entziehen – zum Schutz des Kindes. Die Diplomatie (Hinwirken auf Einvernehmen) wird vielleicht später wieder ihre Chance bekommen.
Willst Du den Frieden, plane den Krieg
Altes lateinisches Sprichwort (Si vis pacem para bellum) Man soll seine Verteidigung so gut vorbereiten, dass es für einen Angreifer aussichtslos erscheint, einen Angriff zu wagen.
Die Angst vor der Intervention
Immer wieder ist von Fachkräften die Angst und Sorge vor Interventionen zu hören. Dabei werden verschiedenste Begründungen angeführt, welche aber bei genauer Betrachtung kaum überzeugen können.
Beispiele:
Ein Elternteil, der Ordnungsgeld beantragt, würde sich selbst schaden.
Es bestehe die Gefahr, dass der verurteilte Elternteil dem Kind sagt, dass man nur wegen dem anderen Elternteil kein Geld hätte, ins Gefängnis müsse oder dieser schon wieder ein Gerichtsverfahren mit Belastung des Kindes anstrengen würde. Man könnte damit seine Beziehung zum Kind endgültig zerstören und solle doch besser vom Ordnungsgeldantrag ablassen.
Nur was war der Auslöser für den Ordnungsgeldantrag? Das Fehlverhalten des Elternteils. Es wird ausgeblendet, was Ursache und was Wirkung ist.
Wenn Fachkräfte bereits davon ausgehen, dass der Elternteil ein Ordnungsgeld oder Ordnungshaft dafür missbrauchen würde, um das Kind gegen den anderen Elternteil zu beeinflussen und gegen seine Wohlverhaltenspflicht zu verstoßen, dann hätten sie selbst bereits ernsthafte Anhaltspunkte für einen Obhutswechsel formuliert. Was wäre die Alternative? Das Kind würde belastet, geschädigt und in vielen Fällen den Kontakt zum anderen Elternteil verlieren. Der eskalierende Elternteil hätte sein Ziel unter Missachtung des Kindeswohls erreicht, ohne, dass ihm Grenzen zum Schutz des Kindes gesetzt wurden. Das, wovor man den (Umgangs-) Elternteil gewarnt hätte, wäre letztlich trotzdem eingetreten, unter erheblicher Schädigung des Kindes.
Ein Obhutswechsel würde das Kind belasten.
Die Möglichkeit besteht durchaus. Übersehen werden dabei aber zwei Dinge. Zum einen wird ein Obhutswechsel nur angeordnet, wenn das Kind bereits im bisherigen Haushalt erheblichen, meist lang andauernden, Belastungen ausgesetzt ist. Der Wechsel könnte damit eine einmalige Belastung bedeuten, aber langfristig zur Entlastung des Kindes beitragen.
Zum anderen gibt es immer wieder auch Obhutswechsel, bei denen Kinder erleichtert waren, der belastenden Situation entkommen zu sein. Es gab damit einen unmittelbaren, positiven Effekt, der zu selten in Erwägung gezogen wird. Dies lässt sich selbst bei Kindern beobachten, welche in Obhut genommen und fremd untergebracht werden.
Wenn positive Effekte schon in Fällen vorkommen, in denen die Kinder in einem fremden Umfeld untergebracht werden, dann dürfte ein Obhutswechsel zum anderen Elternteil in eine vertraute Umgebung noch weitaus häufiger entlastende Effekte mit sich bringen. Diese Perspektive sollte immer auch mitgedacht werden. In der Praxis begegne ich bei dem Thema allerdings häufig Denkverboten, welche manchmal so weit gehen, dass ein Kind eher fremd untergebracht werden soll, als dass der andere Elternteil in Betracht kommt.
Ein besonders dramatischer Fall solcher Fehleinschätzung endete kürzlich mit dem Tod der 10-jährigen Lena aus Wunsiedel.
Strafen würden doch nichts am Verhalten des Elternteils ändern / Strafen könnten das Verhalten des Elternteils nur noch weiter eskalieren
Wenn eine solche Einschätzung zu einem Elternteil besteht, ist es keine Begründung, keine Strafen zu verhängen. Im Gegenteil ist es die Erkenntnis, dass dieser Elternteil sein Verhalten nicht auf die Bedürfnisse des Kindes und hin zu einer Deeskalation verändern wird. In einem solchen Fall kann die Konsequenz meist nur sein, dass Kind aus diesem entwicklungs- und bindungsfeindlichen Umfeld zu befreien. Durch einen Obhutswechsel, sofern der andere Elternteil zur Betreuung grundsätzlich besser in der Lage ist.
Anzumerken ist, dass Ordnungsgelder oder auch Ordnungshaft in vielen Fällen positive Wirkung zeigen. Es ist ein Instrument, welches der Gesetzgeber – genau wie das Hinwirken auf Einvernehmen – ins Gesetz geschrieben hat. Eltern erhalten damit die gelbe Karte und die Chance, zukünftig ihr Verhalten zu verändern, bevor staatliche Stellen zum Schutz der Kinder die rote Karte ziehen und einen Platzverweis (Obhutswechsel) aussprechen müssen. Ordnungsgelder müssen auch angewandt, Stop-Zeichen gesetzt und Eltern die Chance zur Veränderung ihres Verhaltens gegeben werden, solange dazu noch eine realistische Hoffnung besteht.
Weitere verfehlte Lösungsansätze haben wir in einem eigenen Beitrag zusammengefasst.
Strafrecht sinnvoller und effektiver als Familienrecht?
Auch das Strafrecht sanktioniert Fehlverhalten. Niemand würde auf die Idee kommen, einen Ladendieb, Vergewaltiger oder Mörder nicht zu bestrafen, weil man annimmt, dass er sein Verhalten nicht ändern wird. Im Gegenteil wird das Strafmaß erhöht oder in besonderen Fällen Sicherungsverwahrung angeordnet. Zwar kennt auch das Strafrecht die Rehabilitation und Resozialisierung. Diese setzen aber erst nach der Strafe an und der Delinquent muss durch unter Beweis stellen, dass er sein Verhalten ändern wird.
Es ist daher völlig unverständlich, wenn Eltern für Fehlverhalten im Familienrecht ein Freifahrtschein für den Missbrauch ihrer elterlichen Pflichten gegenüber ihren Kindern ausgestellt und ihnen nur mit guten Worten und dem „Prinzip Hoffnung“ begegnet wird.
Eine sinnvolle Lösung dieses Problems könnte für den Gesetzgeber sein, Sanktionen wie Ordnungsgeld etc. aus dem Familienrecht herauszunehmen und ins Strafrecht zu transferieren. Dort gibt es bereits zahlreiche Optionen wie Verletzung der Fürsorgepflicht, Strafen bei Gewalt und Missbrauch und weitere. Das Strafrecht könnte deutlich besser in der Lage zu sein, Sanktionen gegen Eltern durchzusetzen und Kinder zu schützen, als das Familienrecht bisher der Fall ist.
Was bedeutet schon der Verlust eines Elternteils?
Diese Beispiele sind nicht abschließend. Sie zeigen aber die grundsätzliche Angst vor der Intervention. Einer Angst, die nach meiner Wahrnehmung besonders ausgeprägt bei getrennten Eltern besteht. Werden Kinder zusammenlebender Eltern geschlagen oder missbraucht, würde (hoffentlich) kaum eine Fachkraft auf die Idee kommen, die Kinder ohne elterliche Verhaltensänderung in diesem Haushalt zu belassen. Die Inobhutnahme und Fremdunterbringung wäre die logische Folge des elterlichen Fehlverhaltens.
Hinzu kommt, dass dem Verlust eines Elternteils, welches eine häufige Folge in hochstrittigen Trennungskonflikten ist, kaum eine besondere Bedeutung für das Kind beigemessen wird. Es wird scheinbar „als das kleinere Übel“ angesehen. Langzeituntersuchungen und Studien zum Wohlergehen von Kindern widersprechen einer solchen Sicht deutlich. Gleiches gilt für die Belastungen durch „den Streit der Eltern“. Zu oft wird dieser als Schicksal für das Kind hingenommen. Selbst dann, wenn vor allem ein Elternteil eskaliert und der andere sich um Einigung bemüht.
Wo kommt das Kind tatsächlich zur Ruhe?
Auch Familienrichter Frank führt im Interview aus, dass es in manchen Fällen notwendig sein kann, „dass das Kind bei einem Elternteil verbleibt und so endlich zur Ruhe kommt“.
Die wichtigste Frage wird in solchen Fällen meist nicht gestellt und schon gar nicht beantwortet. Bei welchem Elternteil findet das Kind entwicklungs- und bindungsförderliche Erziehungsbedingungen? Welcher Elternteil ist in bereit und fähig, sein Verhalten auf die Bedürfnisse des Kindes auszurichten?
Wenn diese Frage weder gestellt noch beantwortet wird, lebt das Kind mit großer Wahrscheinlichkeit bei dem Elternteil, der für Unruhe und Leid im Leben des Kindes gesorgt hat. Fachkräfte und der andere Elternteil wurden durch obstruktives Verhalten zur Kapitulation gedrängt. Das ist dann das Gegenteil von Kindeswohl und Kinderschutz.
Diese Ruhe hat der ehemalige Familienrichter Jürgen Rudolph in der Diskussionsrunde nach dem dramatische und bewegenden ARD-Spielfilm „Weil Du mir gehörst“, an der auch ich teilnahm, als „Friedhofsruhe“ bezeichnet. Denn Ruhe hätten vor allem die Fachkräfte und der eskalierende Elternteil. In der Entwicklung des Kindes bestehe die Unruhe weiter, werde nur nicht mehr gesehen.
Das Kind als Trophäe für rücksichtsloses Elternverhalten
Dem durch obstruktivem Verhalten siegenden Elternteil wird, quasi als Belohnung für sein das Kind und dem anderen Elternteil schädigenden Verhaltens, das Kind überlassen.
Eine solche Kapitulation von Fachkräften ist keine Lösung, sondern Teil des Problems. Jeder Fall, in dem Fachkräfte vor einem eskalierenden Elternteil kapitulieren, sendet ein fatales Signal. Das Eskalation und Obstruktion zum Erfolg führen können.
Jeder Fall wird weitere nach sich ziehen. Dies ist auch der Grund, weshalb familiengerichtliche Verfahren immer häufiger eskalieren. Es herrscht zu oft Anarchie im Familienrecht. Es hat sich herumgesprochen, dass die Staatsmacht ihren Schutzauftrag immer öfter aufgibt, wenn man nur intensiv genug kämpft.
Richter Frank war nur ein Beispiel. In den Diskussionen zum Welt-Artikel äußerten sich andere Familienrichter in gleicher, hilfloser Weise. Es ist dringend erforderlich, dass Familienrichter unterstützt, besser ausgebildet und auch für hochstrittige Verfahren gerüstet werden. Passiert dies nicht, sterben nicht nur Kinderseelen. Es werden transgenerationale Teufelskreise geschaffen und von Generation zu Generation weitergegeben.
Das es auch anders geht, beweisen bereits einige Familienrichter. Sie sind der Beweis, dass Kinderschutz auch möglich ist, wenn die Eltern sich dagegen sträuben.
Mit welchen Mitteln und Netzwerken dieser Kampf mittlerweile geführt wird, zeigen unter anderem die Faktenchecks auf hochstrittig.org in erschreckender Weise.
Die Macht über das Familienrecht zurückerobern
Jugendämter und Familiengerichte haben einen staatlichen Schutzauftrag für Kinder. Der Schutz von Kindern ist dem Gesetzgeber so wichtig, dass er gleich zwei staatliche Institutionen damit betreut hat. Ihre Aufgabe in hochstrittigen Fällen ist es nicht, Teil des Problems, sondern Teil der Lösung zu sein.
Es ist schon lange überfällig, dass Jugendämter und Familiengerichte wieder die Oberhand in hochstrittigen Fällen zurückerobern. Bei eskalierenden Eltern ist diese Macht definitiv in falschen Händen.
Die größte Gefahr für den Kinderschutz sind Vorbehalte, Vorurteile und Ängste im Kopf von Kinderschützern Aufgrund dieser Vorbehalte nichts zu tun, ist die schlechteste Option für die Kinder. Die Möglichkeiten, um Kinder getrennter Eltern vor Eskalationen zu schützen, sind bereits vorhanden. Sie müssen nur effektiv angewandt werden.
An dieser Stelle sei ausdrücklich denjenigen Familienrichtern, Jugendamtsmitarbeitern, Verfahrensbeiständen und allen weiteren gedankt, die sich bisher bereits zum Teil der Lösung auch in hochstrittigen Fällen gemacht und nicht kapituliert haben. Es ist sicherlich nicht immer leicht und angenehm. Aber im Sinne der beteiligten Kinder ist es notwendig. Und jeder erfolgreich gelöste Fall sendet auch ein präventives Signal.