Erste Bewertung der Reformvorschläge im Kindschafts- und Abstammungsrecht

Das Bundesjustizministerium veröffentlichte am 17.01.2024 Reformvorschläge im Kindschafts- und Abstammungsrecht. Wir haben einige Punkte einer kurzen, ersten Einschätzung unterzogen und ihre Auswirkungen auf die Praxis bewertet. Eine ausführliche Bewertung wird noch folgen und aktualisiert werden.

Grundsätzlich lässt sich positiv feststellen, dass viele Druckpunkte angegangen wurden. Es wird überfällige gesetzliche Regelungen für Patchwork-Familien geben, Lebensrealitäten werden besser abgebildet.

Die Krux liegt aber wie so oft im Detail und den genauen Formulierungen. Denn eines wird wohl auch diese Familienrechtsreform, wie alle zuvor, erreichen: den Streit zwischen Eltern weiter zu eskalieren und damit Kinder noch stärker zu belasten.

Deeskalierende Maßnahmen enthalten die Reformvorschläge im Kindschafts- und Abstammungsrecht kaum. Dafür aber Maßnahmen, welche den Streit weiter verschärfen werden.

Reformvorschläge im Kindschafts- und Abstammungsrecht

Zukünftige gesetzliche Bevorzugung des Residenzmodells

Bei der Frage der Doppelresidenz (Wechselmodell) fällt die vorgeschlagene Regelung allerdings noch hinter die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus 2017 zurück. Die Doppelresidenz soll künftig nur angeordnet werden, wenn sie besser als das Residenzmodell geeignet ist. Der BGH sah bei gleicher Eignung der Betreuungsmodelle noch vor, dass aufgrund der Grundrechtspositionen der Eltern der Doppelresidenz der Vorzug zu geben ist.

Die bisher nicht ausdrücklich festgeschriebene Bevorzugung des Residenzmodells soll damit nun ins Gesetz geschrieben werden. Hier wäre es am Gesetzgeber zu erklären, auf welcher am Kindeswohl orientierten Grundlage er diese Bevorzugung des Residenzmodells wählt. Den öffentlich bekundeten Bestrebungen nach mehr Partnerschaftlichkeit, Gleichberechtigung und Vereinbarkeit würde so jedenfalls ein Bärendienst erwiesen.

Kindeswohl

Das Kindeswohl ist nicht nur unbestimmter Rechtsbegriff, sondern bisher auch der beliebigen Auslegung unterworfen. Das BMJ kündigt an, den Begriff erstmals klarer zu schaffen und Kriterien aus der Praxis als Orientierung, nicht als abschließende Aufzählung, ins Gesetz aufzunehmen. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Welche Kriterien dies sein sollen, wird noch nicht mitgeteilt. Eine Orientierung könnte hier der §138 ABGB (österreichisches BGB) bieten. Dort sind Kindeswohlkriterien bereits seit 2013 benannt.

Abstammungsrecht

Im Abstammungsrecht will der Gesetzgeber einen offensichtlich verfassungswidrigen Weg beschreiten. Hintergrund ist, dass die Mit-Mutterschaft für lesbische Paare ab Geburt ermöglicht werden soll. Begründet wird dies mit der Gleichstellung lesbischer Paare mit heterosexuellen Paaren. Geregelt werden soll letztlich nicht die Abstammung, sondern die soziale Elternschaft. Hierfür ist das „Abstammungsrecht“ allerdings der völlig falsche Ort, denn die Abstammung eines Kindes ist rein biologisch, eindeutig feststellbar und unveränderlich.

Bisher wird der Ehemann der Geburtsmutter automatisch rechtlicher Vater. Für den Ehemann gilt die Regel-Vermutung der biologischen Vaterschaft. Hierauf hat auch der Bundesgerichtshof (BGH) mehrfach hingewiesen Für den Fall, dass die gesetzliche Regel-Vermutung nicht zutrifft, gibt es die Möglichkeit der Korrektur durch die Vaterschaftsanfechtung (§1599 BGB ff). Die biologische Elternschaft ist daher Grundlage auch für die rechtliche Elternschaft. Dies betonte auch der BGH in mehreren Entscheidungen (u.a. BGH XII ZB 231/18 Rz 22 vom 10.10.2018).

Diese Vermutung der biologischen Elternschaft kann für die Mit-Mutter (korrekt: Ehefrau der Geburts-Mutter) in keinem Fall gelten. Die nun vorgelegten Vorschläge dürften mit großer Wahrscheinlichkeit durch das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als unzulässig bewertet werden.

Bevorzugung der Mit-Mutter vor biologischen Eltern und homosexuellen Paaren

So wie vorgeschlagen würde die Ehefrau der Geburtsmutter gegenüber Ehemännern einer Geburtsmutter bevorzugt werden. Ihre Mit-Mutterschaft wäre vor Anfechtung geschützt, denn sie kann, anders als rechtliche, aber nicht biologische Väter, nie im falschen Glauben ihrer biologischen Mit-Mutterschaft gewesen sein.

Auch biologische Väter, die nicht mit der Mutter verheiratet sind, wären gegenüber der Mit-Mutter benachteiligt. Ebenso wären schwule Paare gegenüber lesbischen benachteiligt, da für sie überhaupt keine Regelungen getroffen werden. Und zu guter Letzt verstoßen die Vorschläge zum Abstammungsrecht mit großer Wahrscheinlichkeit auch gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Denn Kinder haben das Recht, nicht nur zu wissen, wer ihre Eltern sind, sondern auch von diesen erzogen zu werden.

Ausstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Mit-Mutterschaft

Zur Frage der verfassungsmäßigen Zulässigkeit oder Gebotenheit wurde bereits im März 2021 eine Entscheidung des OLG Celle beim Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Auch das Kammergericht Berlin legte im März 2021 ein entsprechendes Verfahren zur Prüfung vor. Eine Entscheidung hierüber steht, soweit bekannt, auch nach fast drei Jahren noch aus.

Das Ergebnis scheint der Gesetzgeber mit seiner Initiative nun bereit vorweg nehmen zu wollen. Man muss sich die Frage stellen, ob die Entscheidung des BVerfG hier bewusst so lange herausgezögert wird. Eine solch lange Entscheidungsdauer ist ungewöhnlich.

Der Gesetzgeber wäre gut beraten, seine Vorschläge im Abstammungsrecht noch einmal grundlegend zu überdenken. Der sinnvollere Weg wäre, die bisher schon als Grundlage bestehende, biologische Vaterschaft klarer zu definieren.

Für homosexuelle Paare könnten Regelungen geschaffen werden, wie diese Elternschaft gemeinsam mit dem zweiten biologischen Elternteil leben könnten. Gute Vorschläge, wie dies gelingen kann, hat der Gesetzgeber z.B. mit dem kleinen Sorgerecht bereits vorgelegt, um Patchwork-Konstellationen, welche zur Lebensrealität gehören, besser abzusichern. Und auch, wenn dies nicht dem Wunsch der Erwachsenen entspricht: Aus Sicht des Kindes und auch aus rechtlicher Sicht ist ein in eine homosexuelle Partnerschaft hineingeborenes Kind eine Patchwork-Familie.

Gewaltschutz

Überdenken sollte er auch seine Vorschläge zum Gewaltschutz. Die Stärkung der Ermittlung und Aufklärung ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Regelvermutung, dass bei häuslicher Gewalt das gemeinsame Sorgerecht regelmäßig nicht in Betracht kommen solle, nimmt aber das Ergebnis der Prüfung regelmäßig bereits vorweg. Dies ist weder nachvollziehbar noch sachgerecht.

Es wirft für die Praxis auch weitere Probleme auf. Ungeklärt ist die Frage, wie vorgegangen werden soll, wenn beide Eltern Gewalt ausgeübt haben. Bei welchem Gewalt ausübenden Elternteil soll das Kind verbleiben?

Die Frage zeigt bereits deutlich, dass es in Fällen von Gewalt einer sorgfältigen Aufklärung und der Bewertung aller Umstände des Einzelfalls bedarf, um sowohl die Kinder als auch Eltern vor weiterer Gewalt zu schützen. Wichtig wäre auch eine Prognose, inwiefern weitere Gewalt zu erwarten ist. Eine einmalige Handgreiflichkeit im Zusammenhang mit einer Trennung bedeutet nicht, dass Wiederholungsgefahr besteht. Gesetzliche Regelvermutungen helfen an dieser Stelle nicht weiter.

Zudem sollte auch im Gesetz ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass es sich um „nachgewiesene“ Gewalt handeln muss. Es sollte dringend verhindert werden, dass Elternteile, welche im ersten Schritt beim „Kampf um den besseren Elternteil“, z.B. bei der Frage des alleinigen Sorgerechts oder der Verhinderung der Doppelresidenz (welche beide auf der streitfördernden „positiven Kindeswohlprüfung“ aufbauen) ihr Ziel nicht erreicht haben, es im nächsten Schritt mit falschen Gewaltvorwürfen versuchen. Solche Fälle haben deutlich zugenommen und sind unter anderem in unseren Faktenchecks dokumentiert.

Eigentlich kein Handlungsbedarf

Das BMJ selbst konstatiert, dass bereits im geltenden Recht stattgefundene Gewalt im Rahmen von familiengerichtlichen Entscheidungen zu berücksichtigen ist und es keinen Handlungsbedarf sieht. Handlungsbedarf leitet es nur aus der „Einschätzung von Expertinnen und Experten“ ab, welche mangelnde Klarheit beklagen. Hier muss befürchtet werden, dass es sich um eben jene Lobbygruppen handelt, welche auch in anderen Ländern verstärkt mit falschen Gewaltvorwürfen agieren und eine Beweislastumkehr bei Gewaltvorwürfen einfordern. Es besteht daher die berechtigte Sorge, dass der Gesetzgeber mit dem Eingehen auf diese Lobby-Interessen die Büchse der Pandora öffnet. Falsche Gewaltvorwürfe und hochstrittige Verfahren würden weiter zunehmen.

Dem uneingeschränkt zu begrüßenden Anliegen, Gewaltschutz zu stärken, wäre so ein Bärendienst erwiesen und Hochstrittigkeit gefördert. Die Stärkung des Gewaltschutzes sollte besser durch eine Stärkung der Ermittlungskompetenzen der Gerichte und Beschleunigung der Verfahren und nicht durch eine Vorfestlegung des Ergebnisses erfolgen. Zudem braucht es die Feststellung „nachgewiesener“ Gewalt. Im gleichen Zuge sollte auch klargestellt werden, dass bewusst falsche Gewaltvorwürfe ebenfalls eine Form von Partnerschaftsgewalt darstellen.

Vorläufiges Fazit

Die Einschätzung der Reformvorschläge im Kindschafts- und Abstammungsrecht bleibt daher verhalten. Neben positiven Aspekten gibt es einige „big points“, die die Befürchtung einer weiteren Streitverschärfung und Eskalation zwischen getrennten Eltern nähren. Dabei bräuchte es vor allem Deeskalation.

Die hierfür immer wieder geforderte und in anderen Ländern seit Jahrzehnten erfolgreich praktizierte, verpflichtende Beratung von Eltern in strittigen Fällen wurde in den Eckpunkten nicht aufgenommen. Zusammen mit der geplanten Unterhaltsrechtsreform ist daher zu befürchten, dass die nun geplante Familienrechtsreform erneut zur Streitverschärfung beitragen und zu weniger gemeinsamer Betreuung führen wird. Wie auch bei vorherigen Reformen würden vor allem Anwälte, Gutachter und weitere Berufsgruppe von den Reformen und der Zunahme von Verfahren profitieren. Dies wäre erneut das Gegenteil von „Kindeswohl“.

Es bleibt daher zu hoffen, dass der Gesetzgeber im bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren die Reformvorschläge im Kindschafts- und Abstammungsrecht noch einmal deutlich nachbessert und eine Reform auf den Weg bringt, die vor allem den betroffenen Kindern und Familien dient, sie entlastet und Streit so weit als möglich verhindert.

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