Das Oberlandesgericht Celle hatte in einem hochstrittigen Fall über die Frage zu entscheiden, ob ein Ordnungsgeld zu verhängen ist oder nicht (10 WF 168/22 vom 16.02.2023). Es ging unter anderem um nicht oder nicht angemessene, vereinbarte Telefontermine. Wenn diese stattfanden, dann verspätet oder unter erheblichen Störungen.
Das Amtsgericht hatte keinen Verstoß erkennen wollen. Es hatte Verständnis gezeigt, dass die gerichtlich angeordnete Zeit ungünstig sei oder die Telefonate doch später noch stattgefunden hätten. Ein Ordnungsgeld sei daher aus seiner Sicht nicht zu verhängen.
Dies überzeugte das Oberlandesgericht Celle nicht. Im Rahmen des Verfahrens zur Festsetzung von Ordnungsmitteln habe das Gericht nicht über den Inhalt der Umgangsregelung zu befinden, sondern lediglich über die Art des Ordnungsmittels.
Ermessensausübung auf null
„Im Übrigen muss sich das Gericht jedoch bei der Ermessensausübung in erster Linie davon leiten lassen, dass die Vollstreckung der effektiven Durchsetzung einer gerichtlichen Entscheidung dient, die auch und gerade unter Berücksichtigung des Kindeswohls getroffen wurde. Daher wird sich das (Entschließungs-)Ermessen regelmäßig auf null reduzieren und dem Gericht nur das Auswahlermessen hinsichtlich der Auswahl des Ordnungsmittels verbleiben (vgl. Prütting/Helms/Hammer a. a. O.; Sternal/Giers, a. a. O.)“
Unter diesem Gesichtspunkt verhängte das OLG Celle für drei Verstöße gegen die Umgangsregelung ein Ordnungsgeld in Höhe von 150 EUR. Zu den Anforderungen an einen Obhutselternteil fand es deutliche Worte.
Eltern haben eine Wohlverhaltenspflicht
„Eine Zuwiderhandlung i. S. v. § 89 FamFG ist ein Verhalten, das im Widerspruch zu der sich aus dem Titel ergebenden Verpflichtung steht. Dabei handelt einer Umgangsregelung nicht nur derjenige zuwider, der den Umgang aktiv vereitelt. Vielmehr besteht die Wohlverhaltenspflicht des § 1684 Abs. 2 S. 1 BGB, wonach die Eltern alles zu unterlassen haben, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert, auch bei der Durchführung einer Umgangsregelung (vgl. jeweils m. w. N. Sternal/Giers, 21. Aufl. 2023, FamFG § 89 Rn 10; MüKoFamFG/Zimmermann, 3. Aufl. 2018, FamFG § 89 Rn 10). Für die vorliegend vereinbarten samstäglichen Telefonate folgt daraus, dass die Kindesmutter nicht nur die telefonische Erreichbarkeit der Kinder sicherzustellen, sondern auch für eine ungestörte Umgebung bzw. Atmosphäre Sorge zu tragen hat, in der ein gute Verständigung ohne ablenkende Umstände möglich ist.
Dies trifft auf ein Hotel-Restaurant mit lauter Geräuschkulisse nicht zu, zumal die Kindesmutter das Gespräch auch noch selbst mit Zwischenfragen an die Kinder nach Strandsachen gestört hat.“
Je strittiger, desto strenger
Das OLG Celle berücksichtige dabei auch, dass beide Eltern ihren Machtkampf um den Umgang bis an die Grenze der wechselseitigen Schikane durchsetzen. Sie seien nicht bereit, flexibel zu agieren.
„Dies rechtfertigt es jedoch nicht, bei Verstößen gegen die gerichtlich gebilligte Umgangsregelung von Ordnungsmitteln abzusehen. Vielmehr ist gerade bei derartig zerstrittenen Eltern, die nicht in der Lage sind, im Sinne ihrer Kinder vernünftig zu handeln, auf die Einhaltung gerichtlicher Regelungen besonders zu achten. Andernfalls wären solche obsolet. Es bleibt dem Gericht schließlich unbenommen, einer Elternvereinbarung zum Umgang die gerichtliche Billigung zu versagen, sofern es eine solche für „ungünstig“ bzw. nicht mit dem Kindeswohl vereinbar hält. Liegt jedoch ein Gerichtsbeschluss vor, sind Verstöße dagegen grundsätzlich mit den entsprechenden Mitteln zu ahnden.“
Einschätzung der Entscheidung
Das OLG Celle hat in aller Deutlichkeit herausgestellt, welchen Ermessensspielraum Gerichte im Ordnungsmittelverfahren haben. Es geht nicht darum, eine Meinung über die Ausgangsentscheidung zugrunde zu legen. Es handelt sich um ein Vollstreckungsverfahren, bei dem nach positiver Feststellung eines Verstoßes nicht über das „ob“, sondern nur noch über das „wie“ zu entscheiden ist. Obwohl der Gesetzestext hier eindeutig ist, wenden Gerichte es in der Praxis noch zu häufig falsch an. Die Entscheidung des OLG Celle wird dem Willen des Gesetzgebers in der Praxis zukünftig hoffentlich angemessene Bedeutung zukommen lassen.
Gleiches gilt auch für die Wohlverhaltenspflicht. Dass diese besteht, ist hinlänglich bekannt. Das ein Gericht auf diese aber mit Nachdruck hinweist und deren Anforderungen zusätzlich konkretisiert, ist jedoch selten. Meist wird sie schlicht ignoriert. So aber haben die Eltern für die Zukunft eine klare Orientierung, welche Anforderungen an die Erfüllung der Wohlverhaltenspflicht gestellt werden.
Letztlich betont das OLG auch den Wert und die Bedeutung einer gerichtlichen Umgangsregelung. Eigentlich müsste dies eine Selbstverständlichkeit sein und zum Selbstverständnis eines Familienrichters zählen. In der Praxis wird es viel zu oft nicht umgesetzt. Immer wieder gibt es Familienrichter, die unmittelbar nach der Vereinbarung einer Umgangsregelung äußern, dass die Eltern nicht auf die Idee kommen sollten, später ein Ordnungsgeldverfahren einzuleiten. So etwas mache man nicht (… „weil es das Kind belaste“ … wie teilweise ergänzt wird, siehe Verfehlte Lösungsansätze). Richter entwerten ihre Beschlüsse durch ein solches Verhalten und könnten sie sich auch gleich sparen. Denn so ist der Verstoß bei hochstrittigen Eltern quasi vorprogrammiert.
Präventive Wirkung
Das OLG Celle hingegen stellt klar: Gerichtliche Beschlüsse sind einzuhalten. Es wird diese Beschlüsse auch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen. Gäbe es mehr solch entschlossene Gerichte, würde es auch weniger Umgangsverstöße geben. Wie die Studie Kindeswohl und Umgangsrecht feststellte, wird in über der Hälfte der Fälle gegen Umgangsregelungen verstoßen und Umgangsregelungen unterlaufen. Ermöglicht wird dies auch durch zögerliches Verhalten der Familiengerichte.
Dabei täten die Gerichte gut daran, sehr entschieden durchzugreifen. Denn mit jedem geahndeten Verstoß setzen sie ein klares Zeichen. Fehlverhalten zu Lasten der Kinder und auch des anderen Elternteils wird negative Konsequenzen für den verstoßenden Elternteil haben. Weitere Verstöße könnten so vermieden werden.
Die Präventivwirkung geht aber noch weit über das einzelne Verfahren hinaus. Heute ist bekannt, dass Umgangsverstöße kaum Konsequenzen nach sich ziehen (und diese deshalb viel zu häufig vorkommen). Morgen würden bei der Gewissheit, dass Gerichte harte Konsequenzen für Verstöße anwenden, weniger Verstöße passieren. Und auch Anwälte würden auf ihre Mandanten einwirken, nicht nur ihrer Loyalitätspflicht zu entsprechen, sondern sich auch an die vereinbarte Umgangsregelung zu halten.
Angemessenes Ordnungsgeld?
So positiv die Grundaussagen des Beschlusses sind, so muss an der Festsetzung der Höhe des Ordnungsgeldes doch deutliche Kritik geäußert werden. 150 EUR für drei Verstöße sind angesichts des zur Verfügung stehenden Rahmens (bis zu 25.000 EUR, ersatzweise bis zu 6 Monate Ordnungshaft, §89 FamFG) erheblich zu gering.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte in seiner Entscheidung zur Individualbeschwerde 62198/11 Kuppinger ./. Deutschland in aller Deutlichkeit ausgeführt, dass Ordnungsgelder in ihrer Höhe auch angemessen und geeignet sein müssen. Sie haben ein deutliches Signal an den verstoßenden Elternteil zu senden und diesen zu einer Verhaltensänderung anzuhalten. Das in diesem Fall verhängte Ordnungsgeld von 20 – 80 EUR je Verstoß wurde angesichts des den Gerichten zur Verfügung stehenden Rahmens als bei weitem zu gering bewertet. Dies sei auch der Bedeutung der Wahrung eines Menschenrechtes, hier Art. 8 der EMRK – Recht auf Familienleben – nicht angemessen.
Mit 50 EUR Ordnungsgeld je Verstoß dürfte auch das OLG Celle in diesem Punkt gegen die Anforderungen des EGMR verstoßen haben. Die erforderliche Signalwirkung an die Eltern könnte damit verfehlt worden sein. „50 EUR Ordnungsgeld ist es mit Wert“ war hoffentlich nicht die Schlussfolgerung des Obhutselternteils.
Wünschenswert: Anleitung der Eltern
Das OLG kritisierte die Unflexibilität der Eltern in der bei der Ausübung der Umgangsregelung. Menschlich ist dies vielleicht nachvollziehbar. Auf der anderen Seite musste eine gerichtliche, verlässliche Umgangsregelung gerade aufgrund des Unvermögens der Eltern, flexibel und kindeswohlorientiert zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, beschlossen werden.
Wie also können die Eltern wieder zu Eigenverantwortung zurückfinden? Ein Gerichtsbeschluss formulierte es (sinngemäß) vor einigen Jahren in etwa so:
„Die Unflexibilität einer gerichtlichen Umgangsregelung ist der Preis, den die Eltern zu zahlen haben, da sie es nicht vermocht haben, im Sinne ihres gemeinsamen Kindes zu eigenverantwortlichen Regelungen zu kommen. Es liegt jedoch in der Macht der Eltern, sich auf diesem unflexiblen Korsett selbst wieder zu befreien. Sie können jederzeit von der gerichtlichen Umgangsregelung abweichen, sofern sie sich einvernehmlich auf eine andere Regelung verständigen“.
Auch im vorliegenden Fall hätte ein solcher Hinweis, gegeben durch das Amtsgericht, möglicherweise das Ordnungsgeldverfahren verhindern können. Hätte die Mutter, anstatt eigenmächtig die Telefonate zu verschieben oder zu stören, beim Vater um eine Verschiebung gebeten, wäre es möglicherweise nicht zum Streit gekommen. Vorausgesetzt, dass der Vater Flexibilität gezeigt hätte.
Solch erlebte Flexibilität kann ein erster Schritt zur Deeskalation sein. Immer vorausgesetzt, dass Flexibilität nicht nur einseitig, sondern beidseitig gelebt wird. Schaffen die Eltern dies nicht, muss es bei der gerichtlichen Umgangsregelung bleiben.