Slowakei wegen unterbliebener Maßnahmen zur Sicherung des Eltern-Kind-Kontaktes vom EGMR verurteilt

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat seine Rechtsprechung zu den Anforderungen zur Sicherung des Eltern-Kind-Kontaktes in einem weiteren Fall gegen die Slowakei fortgeführt. Geklagt hatte eine Mutter, der der Kontakt zum Kind durch den Vater seit über fünf Jahren verweigert wurde. Die Behörden hatten trotz gerichtlicher Beschlüsse keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, sondern weitgehend abgewartet. Zur Sicherung des Eltern-Kind-Kontaktes müssen effiziente Maßnahmen ergriffen werden, insbesondere auch in Angesicht der Gefahr, dass durch Zeit negative Fakten zu Lasten des Eltern-Kind-Verhältnisses geschaffen werden könnten, wie der EGMR erneut betont.

Die Slowakei wurde wegen Verletzung des Art. 8 und Art. 13 der EMRK verurteilt.

Nachfolgend wird kurz die Entscheidung dargestellt und anschließend eine Einordnung, auch in Bezug auf die Situation in Deutschland vorgenommen.

Die Entscheidung JANOČKOVÁ UND KVOCERA ./. Slowakei, Individualbeschwerde 39980/22, Entscheidung vom 08.02.2024 steht im englischen Original auf den Seiten des EGMR zur Verfügung. Wir haben ergänzend eine deutsche Übersetzung der Entscheidung angefertigt und zum Download zur Verfügung gestellt.

Slowakei wegen mangelnder Sicherung des Eltern-Kind-Kontaktes verurteilt

Die Entscheidung des EGMR

Nach der Trennung betreuten die Eltern den Sohn anfangs abwechselnd. Später lebte der Sohn aufgrund gerichtlicher Entscheidung ab September 2017 beim Vater. Dieser verhinderte fortwährend den Umgang zur Mutter. Die nationalen Gerichte erließen mehrere Anordnungen zum Umgang, erstmals im Oktober 2018. Diese setzten sie jedoch nicht um. Aufgrund der Verweigerung des Vaters sollte die Umgangsanordnung in erster Instanz mehrfach aufgehoben werden. Dies revidierte dann aber die 2. Instanz. Die Vollstreckungsverfahren hätten nie die Vorstufe überschritten (RN 47). Mutter und Sohn haben sich zum Zeitpunkt der EGMR-Entscheidung seit 5 Jahren und vier Monaten nicht mehr gesehen.

Nicht nur Beratung, sondern auch handeln!

Das slowenische Verfassungsgericht betont, dass ein immer wiederkehrender Verweis auf die Beratung der Eltern ineffizient ist (RN26).

Geld allein reicht nicht

Es gab mehrere innerstaatliche, finanzielle Entschädigungen an Mutter und Kind. Der Vater war durchgehend unkooperativ, gegen ihn wurden allerdings keine Maßnahmen ergriffen. Auch das slowenische Verfassungsgericht entschied im Sinne der Mutter. Es wurden vier Jahre lang (2018 – 2022) keine effizienten Maßnahmen gegen den Vater eingeleitet, obwohl es entsprechende, gerichtliche Beschlüsse gab. Diese wurden nie umgesetzt. Insbesondere gesetzliche vorhandene Vollstreckungsmaßnahmen wurden nicht angewandt.

Unterhalt streichen bei Umgangsverweigerung

Es war im nationalen Recht auch möglich, in solchen Fällen die Aussetzung des Elterngeldes (Unterhalt?) und des Kindergeldes zu veranlassen. Selbst dies wurde nicht vorgenommen.

Entscheidungsgründe

Die wesentlichen Gründe des EGMR zu seiner Entscheidung, eine Verletzung des Art. 8 und des Art. 13 EMRK anzuerkennen, lauteten wie folgt:

RN42 (c) „In Bezug auf die Verpflichtung des Staates, positive Maßnahmen zu ergreifen, beinhaltet Artikel 8 für Eltern ein Recht darauf, dass Schritte unternommen werden, um sie mit ihren Kindern wieder zusammenzuführen, und eine Verpflichtung der nationalen Behörden, solche Zusammenführungen zu erleichtern.“

(e) Entscheidend ist, ob die nationalen Behörden alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben, um die Vollstreckung einer Anordnung zur Regelung des Umgangs zu erleichtern, die unter den besonderen Umständen des Einzelfalls vernünftigerweise verlangt werden kann.

(f) In diesem Zusammenhang ist die Angemessenheit einer Maßnahme daran zu messen, wie schnell sie umgesetzt wird, da der Zeitablauf unheilbare Folgen für die Beziehungen zwischen dem Kind und dem Elternteil haben kann, der nicht mit dem Kind zusammenlebt.

Vorhandene Mittel müssen auch angewendet werden

RN 48 Das Amtsgericht machte „von keinem der zur Verfügung stehenden Mittel Gebrauch, um die Einhaltung des Beschlusses sicherzustellen“.

Der EGMR stellte daher fest, „dass die von den slowakischen Gerichten ergriffenen Maßnahmen nicht so angemessen und wirksam waren, wie es unter den Umständen des Falles zur Erleichterung der Zusammenführung der Beschwerdeführerinnen vernünftigerweise zu erwarten gewesen wäre“ RN 51

Es wurde betont, dass ein rein kompensatorischer Rechtsbehelf nicht ausreichend sei. Ein Rechtsbehelf müsse auch präventiv wirken geeignet sein, auch tatsächlich Handlungen zur Herstellung des Kontaktes erreichen zu können, „da ihre positive Verpflichtung, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Familienlebens zu gewährleisten, Gefahr läuft, illusorisch zu werden, wenn den betroffenen Parteien nur ein kompensatorischer Rechtsbehelf zur Verfügung steht, der nur zu einer nachträglichen Zuerkennung einer Geldentschädigung führen kann (vgl. Kuppinger gegen. Deutschland, Nr. 62198/11, § 137, 15. Januar 2015, mit weiteren Hinweisen)“. RN 53

Ineffiziente Verfahrensführung trägt zur Menschenrechtsverletzung bei

RN 55: „Nach Ansicht des Gerichtshofs steht dies im Einklang mit dem Muster der allgemeinen Ineffizienz der Verfahren vor dem Amtsgericht und dem Landgericht in Bezug auf den Zweitbeschwerdeführer, wobei die erstinstanzlichen Entscheidungen in dieser Rechtssache routinemäßig in der Beschwerde aufgehoben wurden (siehe z. B. Rdnrn. 10, 11, 12, 14 und 20) und die Verletzung der Grundrechte der Beschwerdeführerinnen wiederholt sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch vom Gerichtshof festgestellt wurde (siehe Janočková gegen Slowakei [Ausschuss], Nr. 40124/21, 6. Februar 2023)

Es wird festgestellt, dass trotz der mehrfachen Inanspruchnahme der innerstaatlichen Rechtsbehelfe keine präventive Wirkung erzielt wurde. Insofern wurde auch eine Verletzung von Art. 13 EMRK festgestellt.

5.000 EUR sind genug für den Verlust des Eltern-Kind-Kontaktes

Die Beschwerdeführer forderten jeweils 10.000 EUR Entschädigung. Die Regierung hielt dies für überhöht. Der Gerichtshof sprach jedem Beschwerdeführer (Mutter und Sohn) lediglich 5.000 EUR zu, eine Kostenerstattung wurde nicht gewährt.

Einordnung der Entscheidung

Der EGMR hat konsequent seine Linie fortgeschrieben, die er bereits in seinen Entscheidungen gegen Italien, Moldawien, Bulgarien und die Ukraine dargelegt hat. Die nationalen Behörden müssen schnell und auch tatsächlich wirksame Maßnahmen ergreifen, um eine Sicherung des Eltern-Kind-Kontaktes zu erreichen. In seiner Entscheidung gegen Moldawien hatte der EGMR Eltern-Kind-Entfremdung klar auch als Gewalt gegen das Kind anerkannt.

Zeit schafft Fakten

Einer Eltern-Kind-Entfremdung ist insbesondere vor dem Faktor Zeit entschieden entgegenzuwirken. Es darf nicht durch Zeitablauf ein menschenrechtswidriger Zustand zu Lasten des Elternteils und des Kindes geschaffen werden. Die auch seitens hochstrittig.org immer wieder vorgebrachte Mahnung „Zeit schafft Fakten“ findet erneut Bestätigung.

Die Besonderheit in diesem Fall war, dass sowohl die 2. Instanz als auch das nationale Verfassungsgericht die Probleme in der Durchsetzung gesehen und auch benannt haben. Das Gericht der 1. Instanz (bei uns also das Amtsgericht) schien allerdings bis zuletzt kein Interesse zu haben, sowohl die gesetzlich vorgesehenen Vollstreckungsmöglichkeiten zur Sicherung des Eltern-Kind-Kontaktes zu nutzen, noch den Entscheidungen der oberen Instanzen Folge zu leisten.

Dies verdeutlicht, dass selbst die besten Gesetze und Vorschriften nichts wert sind, wenn diese nicht von den dafür vorgesehenen Menschen umgesetzt werden.

Erschreckend niedriger Wert von Menschenrechten

Wie meist sind allerdings die vom EGMR ausgesprochenen Entschädigungen erschreckend niedrig. 5.000 EUR für den Verlust des Eltern-Kind-Kontaktes und die jahrelange Verletzung der Menschenrechte sind beschämend. Man muss sich ernsthaft die Frage stellen, welch präventiven Effekt solche lächerlichen Entschädigungen auf die Staaten ausüben soll.

Eine Besonderheit im vorliegenden Fall war, dass sowohl der Mutter als auch dem Sohn eine Entschädigung zugesprochen wurde. Zu befürchten bleibt, dass die Entschädigung für den Sohn zumindest indirekt auch den ihn betreuenden, die Menschrechte und nationalen Entscheidungen missachtenden, Vater zufließt. DIes würde den guten Gedanken der Entschädigung ad absurdum führen.

Sollten Richter persönlich für Menschenrechtsverletzungen haften?

Insofern bleibt nur der moralische Appell an die Staaten, ihre Gesetze so auszugestalten, dass diese Menschenrechtskonform werden. Im zweiten Schritt wäre dann zu diskutieren, inwiefern es Vorgaben für die geeignete Besetzung der ausführenden Stellen und entsprechende Sanktionen bei Nichtbeachtung geben müsste.

Eine persönliche Haftung der die Menschenrechte missachtenden Richter und Behördenmitarbeiter würde der Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR zur Sicherung des Eltern-Kind-Kontaktes vielleicht mehr Nachdruck verleihen als bisher.

Bedeutung für die Situation in Deutschland

Die Situation, über die der EGMR entschieden hat, kommt so tagtäglich auch in Deutschland vor. Zeitablauf und Kontaktabbruch ist für einige Familienrichter noch immer nicht das Problem, sondern die Lösung. Häufig wird nach Jahren entschieden, dass man jetzt nichts mehr machen könne. Die Ablehnung des Kindes sei ja jetzt verfestigt. Mehrere Verurteilungen Deutschlands für ein solches Verhalten haben zu keiner spürbaren Veränderung dieses Verhaltens geführt. Es ist noch immer problemlos möglich, dass ein eskalierender Elternteil ein Verfahren über mehrere Jahre ausdehnt. So werden durch Zeit Fakten geschaffen.

Rechtsmittel sind ineffizient

Dass es in Deutschland überhaupt Rechtsmittel wie die Beschleunigungsrüge und Beschleunigungsbeschwerde gibt, ist nur mehrfachen Verurteilungen Deutschlands durch den EGMR zu verdanken (z.B. Kuppinger ./. Deutschland). Eine effektive Wirkung in Verfahren entfalten sie nach meiner Wahrnehmung allerdings nicht. Denn nach einem Tätigwerden des Gerichts, z.B. einer Sachstandsanfrage beim Sachverständigen, kann erneut eine monatelange Phase der Untätigkeit folgen und Zeit Fakten schaffen.

Auch Ordnungsgelder und Ordnungshaft werden bis heute von einigen Richtern kategorisch abgelehnt. Sie sind im Gesetz explizit zur Wahrung der Menschenrechte vorgesehen. Wenn sie denn doch mal verhängt werden, werden sie häufig in erschreckend niedriger Höhe ausgeurteilt. Oder durch das Oberlandesgericht wieder aufgehoben.

Auch wenn es ein unpopuläres Thema ist. Wir brauchen eine wirksame Kontrolle der Arbeit der Familiengerichte zur Sicherung des Eltern-Kind-Kontaktes. Verbunden mit einer besseren Aus- und Fortbildung, auch in Bezug auf die durch den EGMR gemachten Vorgaben.

Gesetzgeber müsste erstmals ernsthaften Willen zur Sicherung des Eltern-Kind-Kontaktes zeigen

Auch der Gesetzgeber könnte seinen Willen zur menschenrechtskonformen Ausgestaltung des Familienrechts erstmals eigeninitiativ, und nicht erst nach erneuten Verurteilungen durch den EGMR, zeigen. Die Möglichkeit, Unterhalt und staatliche Leistungen an Umgangsbe- und verhindernde Elternteile zu verweigern, wie es in der Slowakei wohl möglich ist, wäre eine sinnvolle Option auch in Deutschland. Sinnvoll wäre es auch, Umgangsbe- und Verhinderung zukünftig im Strafrecht und nicht mehr im Zivilrecht zu verankern.

Leider lassen auch die bisher vorgelegten Eckpunkte zu den familienrechtlichen Reformen noch keinen Willen des Gesetzgebers erkennen, an der desolaten Situation im Familienrecht in hochstrittigen Fällen etwas verändern zu wollen.

Es wird also bis auf weiteres auf engagierte, verantwortungsbewusste und qualifizierte Familienrichter vor Ort ankommen, die Menschenrechte zur Sicherung des Eltern-Kind-Kontaktes zu gewährleisten. Für betroffene Eltern wird es also weiterhin vom Zufall abhängen, ob sie den Kontakt zu ihren Kindern gegen den Willen des anderen, kontaktverweigernden Elternteils aufrecht erhalten können oder nicht.

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